Müller-BBM Building Solutions wurde 2020 mit der Planung der audiovisuellen Systeme für den Neubau des Volkstheaters Rostock beauftragt. Im Jahr 2021 erweiterte der Bauherr den Auftrag, indem er die Firma u. a. auch mit der Gesamtplanung der Akustik beauftragte. Der Projektleiter Michael Prüfer stellt die Planung vor.
Der Große Saal, Hauptspielstätte des Neubaus, bildet einen wesentlichen Schwerpunkt der akustischen Planung. Das Ziel besteht darin, optimale akustische Bedingungen für alle vorgesehenen Sparten – Schauspiel, Oper, Ballett und Konzerte – zu schaffen, ohne eine übermäßige akustische Bevorzugung einer bestimmten Nutzung gegenüber den anderen zu erzeugen. Dabei unterscheiden sich die akustischen Anforderungen dieser Sparten erheblich. Schauspiel erfordert eine exzellente Sprachverständlichkeit, was einen Raum mit vergleichsweise kurzem Nachhall erfordert. Oper und Ballett und in besonderem Maße klassische Musik benötigen hingegen einen deutlich längeren Nachhall, damit die gewünschte Lebendigkeit, Mischung und Räumlichkeit des Klangs entstehen können.
Eine Kompromisslösung, die den Nachhall zwischen für Musik und Sprache vorteilhaften Werten platziert, ist oft unbefriedigend und erfüllt am Ende keine der Nutzungen zufriedenstellend. Daher wird in diesem Fall das heutzutage übliche Konzept einer variablen Akustik angewendet, das sich den unterschiedlichen Erfordernissen aus den verschiedenen Sparten anpassen kann.
Die mit Abstand größte Absorptionsflächen im Raum sind zweifellos die Bestuhlung und das Publikum, die die Grundbedämpfung des Auditoriums bilden. Nur wenn das Verhältnis zwischen Saalvolumen und der Absorption aus Bestuhlung und Publikum richtig ausgewogen ist, kann der gewünschte Nachhall und Klangeindruck überhaupt erreicht werden. Eine der ersten Aufgaben in der akustischen Planung war es daher, ein angemessen dimensioniertes Saalvolumen festzulegen. Dieses sollte groß genug sein, um die gewünschte Klangmischung für Musik im Raum zu ermöglichen, aber gleichzeitig nicht zu groß, um sicherzustellen, dass ein Sprecher auf der Bühne beim Schauspiel bis in die letzte Zuhörerreihe mühelos verstanden werden kann, auch ohne Verstärkung.
Bei der Auswahl der Bestuhlung spielen neben Design und Ergonomie auch akustische Aspekte eine große Rolle. Damit die Bestuhlung als die Hauptabsorptionsfläche im Saal akustisch optimal funktioniert, müssen bestimmte Anforderungen an die Schallabsorption sowohl im unbesetzten als auch im mit Personen besetzten Zustand erfüllt werden. Dazu werden Schallabsorptionsgradmessungen an Musteraufbauten der geplanten Stühle in einem akustischen Prüfstand durchgeführt. Solche Messungen ermöglichen akustische Anpassungen und Optimierungen am Stuhlaufbau, bevor die eigentliche Stuhlproduktion beginnt.
Die akustische Variabilität des Saals wird durch zwei Elemente bestimmt: Das erste Element ist das Saalvolumen. Beim Schauspiel bestimmt das Volumen des Zuschauerraums das für den Nachhall relevante Volumen. Bei Opern wird ein Teil der Bühne mittels eines Schalldeckels akustisch an den Zuschauerraum angekoppelt, was zu einer wirksamen Vergrößerung des akustischen Volumens führt. Bei klassischen Konzerten wird durch eine akustisch angepasste Orchestermuschel eine weitere deutliche Erhöhung des akustisch angeregten Volumens erreicht.
Das zweite Element der akustischen Variabilität ist die Veränderung der Raumbedämpfung im Auditorium. Hierfür sind großflächig variable Absorber in Form von textilen schallabsorbierenden Rollos geplant, die im Auditorium aus der Saaldecke ausgefahren und vor den Saalwänden heruntergelassen werden können. In der Regel werden diese Absorber vor allem bei Schauspiel sowie bei elektroakustisch beschallten Veranstaltungen eingesetzt.
Eine Besonderheit des Projekts stellt die Bühnenkonzeption dar, bei der der Orchestergraben Bestandteil des Bühnenhauses ist. Dies bedeutet für die akustische Planung besondere Herausforderungen. Der Graben ist nicht, wie in vielen Opernhäusern üblich, Teil des Zuschauerraums, was eine durch die Architektur bedingte natürliche akustische Ankopplung an das Auditorium grundsätzlich unterstützen würde. Da gerade die Zone des Orchestergrabens und der daran angrenzende Bereich eine besondere akustische Rolle spielen, erstreckt sich hier der Wirkungsbereich des Akustikers deutlich intensiver auf den Bereich des Bühnenhauses als bei einem Konzept mit einem Orchestergraben im Auditorium.
Um eine optimale akustische Kopplung zwischen Graben und Auditorium zu gewährleisten, sind verschiedene Maßnahmen geplant. Dazu gehören die Ausbildung eines zur Reflexion optimierten Schalldeckels über dem Graben, seitliche Schallreflektoren als Proszeniumsabschluss an den seitlichen Bühnenwänden, eine variable Grabenrückwand und eine variabel schalltransparent einstellbare Grabenbrüstung.
Neben der Wahrnehmung des Nachhalls sind akustische Eindrücke wie Lautstärke, Deutlichkeit, Klarheit, Räumlichkeit und der Support für die Musiker von entscheidender Bedeutung für die akustische Qualität. Diese Parameter werden durch den Direktschall sowie die frühen Reflexionen beeinflusst. Zu deren Untersuchung und Optimierung sind Computersimulationen ein hervorragendes Hilfsmittel und kommen hier vielfältig zum Einsatz.
Auch Jazz-und Popkonzerte sollen unter guten akustischen Bedingungen möglich sein. Dafür kommen ebenfalls die Rollos für die variable Raumbedämpfung zum Einsatz. Für einen herausragenden Sound sorgt eine an die Akustik und Saalarchitektur bestmöglich angepasste Beschallungsanlage. Das in die Architektur integrierbare Beschallungskonzept basiert auf dem Grundprinzip der Linienschallquelle, einem seit Langem angewendetem Konzept, das mittels modernster Beam-Steering-Technologie ein hochleistungsfähiges Konzertniveau erreicht.
Genauso wichtig wie eine gute Raumakustik ist die Herstellung einer idealerweise vollständigen Stille im Saal ohne Störgeräusche. Dazu sind alle technischen Anlagen, insbesondere die Saalbelüftung, schalltechnisch optimiert auszulegen. Am besten eignet sich dafür das Prinzip der Quellluftversorgung über einen Druckboden unter den Zuhörerplätzen und kommt dementsprechend hier zum Einsatz.
Um Störungen durch interne Schallübertragungen aus den im Geschoss unter dem Saal angrenzenden Probebühnen und dem Restaurant auf dem Dach über dem Bühnenhaus auszuschließen, werden spezielle Stahlbetondeckenkonstruktionen verwendet, die auf Federn gelagert sind. Zum Schutz gegen tieffrequente Geräusch-und Erschütterungsübertragungen aus der unmittelbar am Gebäude entlangführenden Straßenbahn erhält die Straßenbahntrasse unterhalb des Gleisbetts eine speziell ausgelegte Körperschallentkopplung.
Die zweite Spielstätte im Gebäude, die Raumbühne, wird aus Schallschutzgründen mit einer schalldämmenden Raum-in-Raum-Bauweise ausgestattet, um eine uneingeschränkte gleichzeitige Nutzung von Großen Saal und Raumbühne zu ermöglichen. Die Raumbühne erhält eine auf gute Sprachverständlichkeit ausgelegte Raumbedämpfung.
Neben diesen beiden Spielstätten werden auch die zahlreichen Probebühnen, Proberäume sowie das Tonstudio akustisch spezifisch gestaltet. Dabei wird besonderer Wert auf eine hohe Schalldämmung zwischen den Räumen sowie auf eine an die Nutzung optimal angepasste Raumakustik gelegt.
Ein Beitrag von Michael Prüfer, Acoustic Consultant bei Müller-BBM Building Solutions und als Projektleiter für das neue Volkstheater Rostock zuständig.
Dieser Beitrag erschien neben dem Projektartikel zum Volkstheater Rostock in der BTR Bühnentechnische Rundschau – Sonderheft 2024, S. 39/40.