Visualisierungen sind im Bauwesen seit langem etabliert und ermöglichen es, Entwürfe in Form von Bildern oder 3D-Modellen erlebbar zu machen, bevor der erste Spatenstich erfolgt. Aber was ist mit der Akustik? Hier kommt die Auralisation ins Spiel. Sie ist für unseren Hörsinn das, was Visualisierung für unseren Sehsinn ist: Sie macht Architektur akustisch erlebbar. Auralisation kann bereits in der Planungsphase erste Anhaltspunkte über die akustische Qualität eines Raumes, wie etwa eines Konzertsaals, geben. Die Wahrnehmung mit dem eigenen Gehör ermöglicht ein tiefergehendes Verständnis und ist eine wertvolle Ergänzung zur Bewertung der zu erwartenden Klangeigenschaften.
Passt die Akustik zur angedachten Nutzung? Ist der Klang in der ersten Reihe so intensiv und einhüllend wie erhofft, und wie klingt es in der letzten Reihe des Oberrangs? Auralisationen können bei der Beantwortung drängender Fragen oder wichtigen planerischen Entscheidungen helfen. Sie prognostizieren, wie der Raum klingen wird, indem sie akustische Parameter wie die Raumgeometrie, verwendete Materialien und die Position der Klangquellen berücksichtigen. Besonders Unterschiede, Vor- und Nachteile verschiedener Entwürfe und Planungsvarianten werden so schnell deutlich und leichter vergleichbar.
Vorhandene Simulationssoftware, mit der Auralisationen erstellt werden können, sind vor allem Planungstools für technisch geschulte Akustiker*innen. Zur niedrigschwelligeren Einbeziehung weiterer Zielgruppen hat Kai Heller (Planungsingenieur Müller-BBM Building Solutions) im Rahmen seiner Masterarbeit an der TU Berlin den Auralisation Explorer entwickelt – eine benutzerfreundliche und immersive Plattform, die es ermöglicht, die Akustik von Räumen interaktiv zu erleben. Müller-BBM Building Solutions hat das Konzept des Auralisation Explorers für den praktischen Einsatz weiterentwickelt und bietet ihn als spezialisierte Dienstleistung an, um die Akustik von Räumen individuell erlebbar zu machen und eine optimale Klangqualität zu entwickeln. Dabei wird jede Anwendung präzise auf die spezifischen akustischen Anforderungen des jeweiligen Projekts zugeschnitten – sei es, um zu demonstrieren, wie sich ein Konzertsaal je nach Sitzposition anhört, oder um aufzuzeigen, wie Foyers ohne akustische Maßnahmen klingen würden.
Das System besteht aus einem großen Touchscreen, der den Raum – zum Beispiel einen Konzertsaal – aus der Vogelperspektive darstellt. Per Fingertipp können die Nutzenden ihre Hörposition auswählen: Möchten sie in der ersten Reihe sitzen oder lieber im zweiten Rang in einer Seitenloge? Dank integriertem Head-Tracking in den Kopfhörern wird eine präzise räumliche Lokalisation der Geräusche ermöglicht. Dreht man den Kopf, bleibt die akustische Szene örtlich stabil – die Instrumente des Orchesters spielen scheinbar direkt vor einem. Ein zweiter großer Bildschirm zeigt die gewählten Hör-Positionen aus der Ego-Perspektive und verstärkt die Illusion, mitten im Konzertsaal zu sitzen.
Das interaktive Erlebnis wird mit der Game-Engine Unity umgesetzt, die zunehmend in den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen Anwendung findet. Das User-Interface arbeitet in Kombination mit einer raumakustischen Simulationssoftware, die u. a. auf dem Prinzip des Raytracing basiert. Dabei wird, verkürzt dargestellt, der Schall von seiner Quelle – beispielsweise einem Cello – und natürlich unter Berücksichtigung von Reflexions- und Beugungseffekten durch den Raum verfolgt, bis er das Ohr der Zuhörenden erreicht. Die Simulation bildet die modellierbaren akustischen Faktoren in einem vereinfachten Modell ab, um die komplexe Interaktion von Schall und Raum für das menschliche Ohr greifbar zu machen und sich so der Realität anzunähern.
Der Auralisation Explorer eröffnet auch völlig neue Möglichkeiten in der Präsentation und Kommunikation raumakustischer Konzepte. Bei Stakeholder-Präsentationen, öffentlichen Beteiligungen oder Ausstellungen zum Projektfortschritt kann er als wertvolles Instrument dienen, um akustische Planungen greifbar zu machen. Durch das Hörerlebnis können alle Beteiligten ein besseres Verständnis für die geplante Akustik entwickeln und so fundierte Entscheidungen treffen. Besonders in der Architektur und Bauplanung, wo die visuelle Darstellung im Vordergrund steht, bietet der Explorer eine Lösung für die Herausforderung, akustische Dimensionen darzustellen. Mit dem Auralisation Explorer können Architekt*innen, Auftraggebende und Akustiker*innen gemeinsam im wahrsten Sinne des Wortes „auf einer Wellenlänge“ agieren und die besten akustischen Lösungen finden.
Zusätzlich ist der Explorer ein effektives Werkzeug für die Öffentlichkeitsarbeit. Im Ausstellungskontext oder bei öffentlichen Veranstaltungen können komplexe Konzepte der Raumakustik anschaulich vermittelt werden. Besucher*innen können so nicht nur sehen, sondern auch hören, wie der aktuelle Stand der Planung ist. Dank des modularen Aufbaus der verwendeten Game-Engine lassen sich zusätzliche Informationen wie bspw. interaktive Informationen zum Bauvorhaben oder audiovisuelle Inhalte in das Erlebnis integrieren.
Der Auralisation Explorer wurde im Rahmen seiner Masterarbeit im Fachgebiet Audiokommunikation an der TU Berlin entwickelt und anschließend bei Müller-BBM Building Solutions im Rahmen von akustischen Dienstleistungen in der Praxis zum Einsatz gebracht. Kai Heller ist seit 2023 als Planungsingenieur im Fachbereich Audiovisuelle Systemplanung bei Müller-BBM Building Solutions tätig.